Ulli Lommel lacht sich ins Fäustchen, da bin ich mir ganz sicher. Da hat er einen Film mit einem außergewöhnlichen, kleinen Kerlchen drehen wollen, der die Nation spaltet, der polarisiert, der übermäßige Bewunderung genauso auf den Plan ruft wie unkontrollierte Ablehnung. Einen Film über einen Star, der einer ist – und keiner ist. Über ein Phänomen, das die Gemüter der Volkseele so zerrüttet wie es vor ihm kaum ein anderer getan hat – mit Ausnahme von einst Rainer Werner Fassbinder vielleicht, Lommels Mentor und Weggefährte aus frühen Jahren (und dies soll auch die einzige Reminiszenz an die Verbindung zwischen Lommel und RWF bleiben).
Die Volksseele wütet und schreit, bevor der Film überhaupt in die Kinos kommt. Die Parabel, die Lommel vor und während des Drehs im Kopf gehabt haben mag, spiegelt und wiederholt sich in der Realität. Man fragt sich, was geschehen wäre, wenn…. Nun, wenn nicht ausgerechnet Daniel Küblböck in „Daniel, der Zauberer“ die Hauptrolle – und damit sich selbst – gespielt hätte.
Einem Interview im renommierten „Tagesspiegel“ (eine halbe Seite lang, zwei große Farbfotos inklusive, die Hälfte der Seite „Medien“ war dem Tagesspiegel dieses Gespräch wert) entnehmen wir, wie es zu der Begegnung zwischen Lommel und Küblböck kam. Lommels amerikanische Lebensgefährtin Pia hatte den Sänger zufällig in einem seiner bonbonbunten Videos gesehen und den Regisseur, der heute größtenteils in den USA lebt und nur noch selten nach Deutschland kommt, auf dessen besondere Ausstrahlung aufmerksam gemacht. Lommel ließ sich überzeugen, dem legendären Konzert im Münchner „Circus Krone“ beizuwohnen – danach war er von Küblböck überzeugt. Den Film, so sagte er dem Tagesspiegel, habe er dann „quasi über Nacht“ erfunden.
Eine „quasi über Nacht“ erfundene Low-Budget-Produktion, in der größtenteils Laiendarsteller auftreten, die weder Gelder der Filmförderung noch Verleihbeteiligungen erhielt und die von Produzent Peter Schamoni als „völlig autonomes, völlig freies unabhängiges Selbsthilfeprojekt“ bezeichnet wurde, verheißt in „qualitativer“ Hinsicht zunächst nichts Gutes. Und tatsächlich: Hier und da schwächelt der Ton und überdeckt der Hintergrundlärm das vorn gesprochene Wort, das Drehbuch zeigt streckenweise einen arg holprigen Gang. Manche Kameraläufe zeigen eine überraschende Genialität, andere wirken dagegen, als ob man in der Mittagspause den Kabelschlepper auch mal rangelassen hätte. Die Bilder wechseln manchmal in einem Tempo, das behäbigen Zuschauern den Atem rauben mag, grell und knallig, dann wieder gediegen-ruhig, getupft mit klassischem Schwarz und Weiß. Ein Trash-Mix eben. Wie von Küblböck nicht anders zu erwarten. Oder von Lommel, der nach seinen Erfolgen mit – nein, gestrichen – eher durch billigen Horror denn durch anspruchsvolle ArtHaus-Produktionen von sich reden machte.
Für all diejenigen, die sich bis jetzt von den voran geschickten, „nüchternen“ Floskeln nicht haben abschrecken lassen, wollen wir uns jetzt dem Film mal von einer etwas anderen Warte nähern.
Worum geht es eigentlich in „Daniel, der Zauberer?“ Der Kurzinhalt ist schnell erzählt: Ein schnell zu vermeintlich kurzlebigem Ruhm gekommener Jungstar (Daniel Küblböck) erregt den Hass und die Ablehnung von zwei selbst augenscheinlich weniger erfolgreichen Teenagern, der blondierten Rike (Adele Eden) und ihrem Freund, dem schwermütigen Tom (Oliver Möller). Unter den ständigen Einflüsterungen von Baltazar dem Bösen beschließen sie, Daniel bei seinem nächsten Konzert zu entführen und umzubringen. Baltazar (ein echtes Highlight des Films: Rudolf W. Brem) dagegen hat noch eine persönliche Rechnung zu begleichen, und zwar mit Daniels Großvater Johannes, der doch eigentlich schon seit mehr als dreißig Jahren tot ist… und dann ist da noch der rätselhafte Zauberer, der einem Schutzengel gleich Daniel bei der Hand nimmt und ihn durch diese Zeit der Bedrohungen geleitet.
Wie reagiert eigentlich ein gerade mal 18jähriger Teenager auf all die bewundernden Briefe, auf die übermächtigen Zeichen der Zuneigung seiner Fans, wie geht er um mit einer Erwartungshaltung, die er allein seinem Auftreten, seinem Tanz und seinem Gesang zu verdanken hat? Daniel jedenfalls („Ich halt das nicht aus – diese ganze Verantwortung!“) ist erst einmal damit überfordert. Erst die tröstenden Worte seiner Großmutter (überragend: Katja Rupé) geben ihm wieder etwas Mut und neues Selbstvertrauen. Dennoch verfolgen ihn seine Ängste bis in den Traum.
Dann tritt der alte Zauberer (Ulli Lommel), einst geliebte Kindheitserinnerung, wieder in das Leben des jungen Künstlers. In kargen Wortwechseln enthüllen sich die Prüfungen, die Daniel jetzt bestehen muss, trotz all seiner Ängste, trotz seiner Unsicherheit. Die größte steht ihm unmittelbar bevor: Tom und Rike werden ihm bei seinem nächsten Konzert auflauern und ihn entführen.
Dialoge sind Mangelware in diesem Film, der streckenweise an ein Musikvideo der frühen Achtziger erinnert, und das ist auch gut so. Dennoch gibt es starke verbale Gefechte, deren Höhepunkte in den herrlichen Duellen zwischen den beiden Altmeistern Lommel und Brem kulminieren, die in lange Mäntel gewandet sind, rot für das Böse, und schwarz für das Gute. Sie illustrieren unverdeckt den ewigen Kampf der beweglichen Hoffnung gegen die aller Hoffnung verlustig gewordene Lethargie, sie beschwören den Gegensatz zwischen dem, was selbst über den Tod hinaus überlebt, weil Liebe und Hoffnung immer lebendig sind - und dem, was zwar lebt, aber innerlich längst abstarb, weil der, der nicht mehr liebt und nur noch hassen und ablehnen kann, nichts mehr vom Leben zu erwarten hat.
Als das Kind Daniel (gespielt von Manolito Lommel) seinem Zauberer zum ersten Mal begegnet, erklingen Rhythmen indianischer Initiationstänze. Der Eintritt in ein selbstbewusstes, verantwortungsvolles Erwachsenenleben wird ermöglicht durch liebevolle Ratgeber, die dem jungen Probanden beistehen, wenn die Selbstzweifel überhand nehmen, die ihn aber auch immer wieder dazu ermutigen, zu sich selbst zu stehen, er selbst zu sein und die Masken abzulehnen, die ihm die anderen überstreifen wollen.
Da schleppt Papa Günther (gespielt von Günther Küblböck himself) seinen Sohn mit dicken Dollarzeichen in den Augen zu einem Screening für eine amerikanische Filmcrew, wo Daniel zunächst an den Anforderungen zu scheitern scheint, auf einer Leiter stehend zwei klare Sätze in die Kamera zu sprechen. Erst die Statistin Marie ermuntert ihn, einfach die ganze Maskerade um ihn herum zu vergessen und sich zu geben, wie er ist. In der Schlusssequenz werden wir dieser Leiter wieder begegnen, dann aber wird Rike an Daniels Seite stehen, zu den Klängen von „My Life is Magic“, einem von drei neuen Songs, auf die die Fans sich freuen können.
Sind Rike und Tom „richtige“ Antis, echte Küblböck-Gegner? Nein, denn sie sind nur von ihrem eigenen Leben frustriert, verunsichert und schwach. Ein „richtiger“ Anti geht gar nicht erst in ein Küblböck-Konzert - denn dann würden ihn seine Kumpels teeren und federn. Ein „richtiger“ Anti kippt auch nicht um, wenn er mit seinen eigenen Emotionen konfrontiert wird. Ein „richtiger“ Anti hat nämlich keine Gefühle, jedenfalls keine sichtbaren. Er heult nicht, liebt nicht und trauert nicht. Deshalb erleben „richtige“ Antis auch kein Happy End, jedenfalls nicht im Film. Folgerichtig überlebt sich auch Baltazar der Böse, auch wenn sein Gegenpart, der alte Zauberer, der seine Energien und Kräfte in Form des magischen Stabs an seinen Enkel weitergab, längst die Bühne ihres privaten Schlagabtauschs verlassen hat.
Und was geschieht dazwischen? Wir erleben einen spielfreudigen Daniel, der so authentisch daherkommt, dass in einigen Presserezensionen bereits von einem „Halbdokumentarfilm“ die Rede war. Wir erleben alte Songs neu performt, und wir erleben Daniels neue Musik, diesmal mit allen Sinnen, nicht nur mit dem Gehör. Wir werden erfasst von der Woge der Emotionen, die Daniel auf uns loslässt, wir rollen uns mit ihm im Schnee, wir bejubeln mit ihm im Bad seine Haarbürste, wir tollen gemeinsam mit Rieke, Tom und Daniel samt Gitarre durch einen bayerischen Vorgarten. Ehrfurchtsvoll erstarren wir vor der Marienstatue, wenn Daniel eine Kerze für seinen Großvater entzündet – und spüren, wie sich auch in uns das Licht auszubreiten beginnt. Es kribbelt im Bauch… wenn das Leben fließt, durch Höhen und Tiefen, und zu immer wieder neuen Herausforderungen.
Und wir erleben die Magie des Fanspecial-Konzerts in Passau noch einmal neu. Die Nerven vibrieren, der Pulsschlag steigt schon während des Vorspanns auf Taktzahlen im roten Bereich. Die Lichtmaschinen plärren die schrillsten Farben heraus, die Halle tobt. Und dann, dann wird rückwärts gezählt…. „Zehn – Neun – Acht – Sieben – Sechs – Fünf – Vier – Drei – Zwei – Eins – DA-NI-EL!!!“…
Daniel spielt sich selbst. Mal heiter-ironisch, mal ängstlich und verunsichert. Aber immer authentisch, und immer mit sich im Reinen. Ulli Lommel lacht sich ganz bestimmt ins Fäustchen, wenn er den Rummel um seinen neuen Film betrachtet. Ich lache mit – und freue mich schon jetzt auf die vielen glücklich-gerührt-gestääärbten Gesichter der Faniels…
Die drei neuen Songs „Man in the Moon“, „Skin I am in“ und „My life is magic“ werden zusammen mit „Teenage Tears“ als DVD erscheinen, die auch Bonusmaterial (Video, Fimtrailer und Interviews zum Film) enthält.